Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
Der Senat wird aufgefordert, den Bezirk Pankow dabei zu unterstützen, sein kommunales Vorkaufsrecht für das queere Wohnprojekt, auch bekannt als „Tuntenhaus“, in der Kastanienallee 86 zugunsten einer Genossenschaft, einer Stiftung oder eines landeseigenen Wohnungsunternehmens auszuüben. Da das Haus einen deutlichen städtebaulichen Missstand im sog. Milieuschutzgebiet aufweist, kann das Vorkaufsrecht gezogen werden. Beim „Tuntenhaus“ handelt es sich um ein soziokulturelles queeres Wohnprojekt mit vulnerablen und von Diskriminierung betroffenen Mieter*innen. Sie sind besonders zu schützen. Das Haus muss in dauerhaft gemeinwohlorientierte Hand überführt werden, um Verdrängung zu verhindern und die Bewohner*innen dauerhaft abzusichern.
Der Senat wird beauftragt, die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine Genossenschaft oder ein landeseigenes Wohnungsunternehmen den Vorkauf wahrnehmen kann. Hierfür muss aus dem Haushalt die Genossenschaftsförderung sowie ein Zuschuss durch den Senat frei gegeben werden.
Begründung
Das kommunale Vorkaufsrecht ist in seinen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2021 (BVerwG 4 C 1.20) zwar massiv eingeschränkt. Demnach gilt das bezirkliche Vorkaufsrecht nur noch bei dem Ankauf von Gebäuden bei deutlichen städtebaulichen Missständen (sog. „Problemimmobilien“) oder wenn „das Grundstück nicht im Einklang mit der städtebaulichen Maßnahme bebaut und genutzt wird“ (überwiegender Leerstand). Abwendungsvereinbarungen durch potentielle Käufer*innen, womit kommunale Vorkäufe verhindert werden können, bestehen weiterhin. Damit haben potentielle Käufer*innen die Wahl, inwiefern sie bereit sind, sozialverträgliche Wohnverhältnisse und den Schutz von Bestandsmieter*innen für 20 Jahre zu garantieren. Die Mieter*innen brauchen verantwortungsvolle Bestandshalter*innen und keine kurzfristige, renditeorientierte Bewirtschaftung zu ihren Lasten, die bis zur Verdrängung führt. Um in Verhandlungen Abwendungen zu erzielen, muss aber realistisch dargestellt werden, dass ein möglicher Ankauf durch das Land möglich ist.
Nachdem das Vorkaufsrecht bisher nur einmal im Bezirk Neukölln genutzt wurde, gilt es nun das stark eingeschränkte Instrument bei der Kastanienallee 86 erneut anzuwenden.
Das queere Wohnprojekt und ehemalige besetzte Haus in der Kastanienallee 86, auch bekannt als „Tuntenhaus“, ist nicht nur ein offener und sicherer Ort der Begegnung für die Nachbarschaft und die queere Community. Das Wohnprojekt „Tuntenhaus“ steht seit 1990 für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es ist Wahrzeichen für das weltoffene, tolerante Berlin und ist durch sein soziales und kulturelles Engagement für den gesamten Kiez essentiell. Hier lebt eine große Hausgemeinschaft von 36 queeren Menschen über mehrere Etagen miteinander und ist Anlaufstelle gerade für queere Menschen, die immer noch von Diskriminierung betroffen sind. Solche Strukturen und solidarischen Lebensmodelle machen Berlin aus und müssen unbedingt erhalten werden.
Eine entsprechende Einschätzung des Bezirks, das Vorkaufsrecht hier rechtskonform ausüben zu können, liegt vor. Jetzt steht der Senat in der Pflicht eine Genossenschaft oder ein landeseigenes Wohnungsunternehmen finanziell so in die Lage zu versetzen, damit der Bezirk das Vorkaufsrecht zugunsten eines gemeinwohlorientierten Trägers ausüben kann. Dazu muss die Sperre für die Genossenschaftsförderung durch den Senat aufgehoben und notwendige Zuschüsse ermöglicht werden.
Es ist davon auszugehen, dass ein möglicher Verkauf die zukünftige Verdrängung der Mieter*innen zur Folge hätte. Teure Modernisierungen und später die Aufteilung in Einzeleigentum können hier ein massiver Verdrängungsmotor sein. Der neue IBB Wohnungsmarktbericht 2023 hat verdeutlicht, dass die Angebotsmieten bei Neuvermietung sich von den Bestandsmieten entkoppelt haben. Auch Mieten in den meisten Neubauten sind sogar zu hoch für die Mittelschicht. Der Berliner Wohnungsmarkt ist aus den Fugen geraten und die Mietpreisspirale trifft Hausprojekte wie dieses besonders. Es muss davon ausgegangen werden, dass das „Tuntenhaus“ kein neues Haus mehr finden wird angesichts dieser Rahmenbedingungen.
Bis Mitte Mai muss das Vorkaufsrecht gezogen werden, danach läuft die dreimonatige Frist ab. Es bedarf daher schnell der finanziellen Bereitstellung entsprechender Mittel für den Einsatz des Vorkaufsrechts in diesem Fall. Hier nicht tätig zu werden, wie es der Senat angekündigt hat, wird dem notwendigen Mieterschutz in unserer Stadt nicht gerecht und ist auch angesichts der Immobilienspekulation das falsche Signal an renditegetriebene Geschäftsmodelle.
Dem Berliner Abgeordnetenhaus ist bis zum 30.4.2024 zu berichten.
Berlin, d. 12.03.2024
Jarasch Graf Schmidberger Billig Neugebauer Walter
und die übrigen Mitglieder der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen
Helm Schatz Schenker Lederer
und die übrigen Mitglieder der Fraktion
Die Linke