Rechtsgutachten zum sozialen Wohnungsbau: Überhöhte Kostenmieten abschaffen, soziale Richtsatzmiete einführen

Wenn die Mieten in Sozialwohnungen sich von einem Tag auf den anderen um 100 Prozent erhöhen können, wenn 60 Prozent der Sozialwohnungen über dem Mietspiegel liegen und damit teurer sind als Wohnungen im frei finanzierten Wohnungsbau, dann kann irgendetwas nicht stimmen. Diese Missstände müssen dringend abgestellt werden.

Das am Montag vorgestellte und von der Grünen Fraktion in Auftrag gegebene Gutachten „Rechtsfragen des Sozialen Wohnungsbaus“ von Prof. Dr. Martin Schwab (Universität Bielefeld, zuvor FU Berlin) zeigt, was unternommen werden kann. Durch eine gesetzliche Neuausrichtung des Systems der bestehenden Sozialwohnungen bzw. durch Änderungen am Wohnraumgesetz bzw. am neuen Wohnraumversorgungsgesetz können die Mieten im Sozialen Wohnungsbau deutlich günstiger werden können. Und zwar indem die EigentümerInnen an den Kosten beteiligt werden. Gleichzeitig könnten die Belegungsbindungen gesichert werden, ohne das alte gescheiterte Fördersystem wiederzubeleben.

IMG_0511aDer Senat verweigert sich seit Jahren einer nachhaltigen Lösung des Mietenproblems im Sozialen Wohnungsbaus. Zwar wird im Zuge des neuen Berliner Wohnraum-versorgungsgesetzes, das durch das Mietenvolksbegehren erwirkt wurde, wird auch das bestehende Wohnraumgesetz für den Sozialen Wohnungsbau an mehreren Stellen geändert. Haushalte mit wenig Einkommen sollen über ein Zuschussmodell vor finanzieller Überforderung durch die hohen Mieten und daraus folgenden Wohnungsverlust geschützt werden. Als erster Schritt ist das ein gangbarer Weg, der von der Grünen Fraktion auch unterstützt wird. Nachteil dieses Weges ist es, dass die überhöhten Kostenmieten des alten sozialen Wohnungsbaus nicht grundsätzlich hinterfragt und vor allem nur 20 % der Sozialmieterinnen und Sozialmieter berücksichtigt sowie die Kosten einseitig der öffentlichen Hand aufgebürdet werden. Anstatt bei dieser Gelegenheit das problematische Kostenmietensystem nachhaltig und haushaltsschonend zu reparieren, doktert der Senat nur an den Symptomen herum.

Um die bestehenden Missstände im Sozialen Wohnungsbau in Berlin zu korrigieren, schlagen wir als Grüne Fraktion im Abgeordneten daher folgende Änderungen am vorgelegten neuen Berliner Wohnraumversorgungsgesetzes vor:

  1. Die Begrenzung der Kostenmieten auf die „wirtschaftlich erforderlichen“ Kosten der vormaligen Erstellung. Dazu müssen dringend die einzelnen Bewilligungsbescheide (objektbezogen) geprüft werden. Wir wollen erreichen, dass durch überhöhte Rechnungen in der Vergangenheit entstandene Fantasiepreise nicht ewig fortgelten und nachwirken. Die Überprüfung muss durch den Senat veranlasst werden
  2. Die Einführung einer sozialen Richtsatzmiete, die durch den Senat festgelegt wird. Damit wollen wir erreichen, dass die Mieten für die Mieterschaft bezahlbar bleiben. Diese Richtsatzmiete soll unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Dabei wollen wir die Eigentümer an den Kosten beteiligen.
  3. Die Aufhebung des Einfrierungsgrundsatzes für Fälle, in denen Objekte unterhalb des Gesamtwertes (Basis Kostenmiete) verkauft werden. Auf diese Weise wollen wir verhindern, dass Eigentümer wie z.B. im Fanny-Hensel-Kiez geschehen, ein Objekt zum Preis von 3,1 Mio. € erwerben, dann aber die Kostenmiete auf Grundlage der ursprünglichen Gestehungskosten von 8 Mio. € berechnen dürfen. Zudem muss die Regelung abgestellt werden, dass bei Verkäufen oder Insolvenzen (seit 2011) Belegungsbindungen verloren gehen.

Trotz der in letzter Zeit geführten Debatte zu den explodierenden Mieten im Sozialen Wohnungsbau ist bisher nicht überprüft worden, ob die weiterhin von den Vermietern in Anrechnung gebrachten Kosten tatsächlich entstanden sind und dem damals wie heute geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen.

Seit der Föderalismusreform 2006 kann das Land Berlin alle Regelungen festlegen und ändern, die den Sozialen Wohnungsbau betreffen. Unser neues Gutachten bestätigt, dass das Land Berlin hier seine gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausnutzt. So hat das 2011 verabschiedete Wohnraumgesetz Berlin die Situation nicht verbessert: Es wurde die Gelegenheit verpasst, die Kostenansätze in den Wirtschaftlichkeitsberechnungen auf das tatsächlich erforderliche Maß zu beschränken und die Mieten nach unten zu korrigieren. Stattdessen werden seitdem Belegungsrechte ohne Gegenleistung verschenkt (§ 5 Wohnraumgesetz Berlin).

Es ist allerhöchste Zeit, die tatsächlich entstandenen und wirtschaftlich erforderlich gewesenen Kosten aller betroffenen Objekte zu ermitteln – das wird auch durch die Ergebnisse unseres neuen Gutachtens bestätigt. Diese objektbezogene Untersuchung ist zwar aufwendig, aber die einzige Möglichkeit, eine nachhaltige Lösung zu erreichen. Anschließend soll der Senat beauftragt werden, die IBB anzuweisen, die sog. Wirtschaftlichkeitsberechnungen (Grundlage für die Berechnung der Kostenmieten) zu korrigieren. Eine Enquête-Kommission oder Expertenkomission soll ergänzend ein Korrekturgesetz für den sozialen Wohnungsbau erarbeiten, dass das Berliner Wohnraumgesetz modifiziert und von einer zu schaffenden Berliner Berechnungsverordnung flankiert wird.

IMG_0525aObwohl bereits im Jahr 2013 die soziale Richtsatzmiete in seinem eigenen Evaluierungsgutachten zum Wohnraumgesetz (Freshfields-Gutachten) als möglicher Ansatzpunkt für Lösungen genannt wird, wurde dies vom Senat damals nicht aufgegriffen. Und auch jetzt im Rahmen der Einigung zum Mietenvolksbegehren ist von einer Lösung des systemischen Problems des Sozialen Wohnungsbaus keine Rede. Der Senat gewährt nun für einen kleinen Kreis der Sozialmieterinnen und Sozialmieter Zuschüsse, ohne aber die Eigentümer mit in die Pflicht zu nehmen.

Neben den Mietsenkungen für die Mieterinnen und Mieter im Sozialen Wohnungsbau und dem damit verbundenen Schutz vor Verdrängung würde sogar der Berliner Landeshaushalt entlastet werden. Unsere vorgeschlagenen Änderungen würden dazu führen, dass nicht länger künstlich aufgebauschte oder fiktive Kostenmieten herunter subventioniert werden müssen, nachdem die Kostenmieten um die rechtswidrigen Anteile bereinigt wurden. Es ist also zu erwarten, dass Berlin durch die Schaffung und Umsetzung der vorgeschlagenen Korrekturen Haushaltsmittel einspart und endlich eine Gegenleistung für die geflossenen Subventionen im sozialen Wohnungsbau erhält.

Hintergrund:

Seit Jahren ist bekannt, dass die Sozialwohnungen in Berlin aus den 1970er bis 2000er Jahren überteuert sind und das vor allem zu Lasten der Mieterinnen und Mieter geht. Dem zugrunde liegt ein ein falsches Fördersystem aus früheren Jahrzehnten. Die Mieten in Häusern, die einst im sozialen Wohnungsbau errichtet worden sind, wurden jahrelang über Senatszuschüsse subventioniert. Nach Auslaufen der Förderung und Beendigung des Systems der sogenannten Anschlussförderung durch den ehemaligen rot-roten Senat dürfen die Vermieter heute ganz legal die sogenannte Kostenmiete in voller Höhe verlangen, die viel höher ist als die örtliche Vergleichsmiete (bis 21 €/qm).

Dieses Paradox ist auf Steuersparmodelle und ein kontraproduktives Anreizsystem zurückzuführen, dass die dauerhafte Kostenübernahme durch die öffentliche Hand ohne effektive Qualitätskontrolle garantierte. So wurden die Kosten in der Bauphase künstlich aufgebauscht und vom Steuerzahler durch Zahlung von permanenten Mietzuschüssen (sog. Aufwendungshilfen) herunter subventioniert. Kurz: Wer mehr Geld ausgab bzw. auf dem Papier höhere Kosten erzeugte, konnte auch mehr Geld verdienen. Banken, Bauträger und Steuerzahler machten so große Gewinne. Mit dem Ende der Anschlussförderung seit 2003 werden diese Kosten nicht mehr oder nicht mehr im bisherigen Umfang von der Öffentlichen Hand kompensiert. Die Folge hiervon ist, dass die nicht mehr durch Steuergeld übernommenen Mietanteile von den Mieterinnen und Mietern gezahlt werden müssen und der von den Mieterinnen und Mietern zu zahlende Mietanteil stetig steigt.

Genauso unverständlich ist, dass im Insolvenz- und Veräußerungsfall von Sozialwohnungen die neuen Eigentümer für weitere Jahrzehnte Kostenpositionen gegenüber Mietern und Steuerzahlern geltend machen dürfen, die bereits abgegolten und/oder mit Steuergeldern abgelöst wurden (Inanspruchnahme aus Landesbürgschaften für ausgefallene Kredite). Die Neueigentümer machen also fiktive Kosten geltend, die ihnen nicht entstanden sind und erwirtschaften dadurch sehr hohe Renditen (Beispiel Fanny-Hensel-Kiez: 31,5 % Renditepro Jahr bezogen auf das eingesetzte Eigenkapital). Sie berufen sich dabei auf den sog. „Einfrierungsgrundsatz“, der die ursprünglich genehmigten Herstellungskosten der Objekte für die Dauer der Sozialbindung festschreibt. Der „Einfrierungsgrundsatz“ soll aber eigentlich dem Schutz der Mieter vor steigenden Mieten dienen, ist im Moment aber eher eine Renditegarantie für die Vermieter.