Joschkas Nachwuchs: Neues ’68 am Beginn des neuen Jahrtausends

Ein Positionspapier. Erschienen in der Frankfurter Rundschau im Mai 2001.

Viele dachten, die 68er und ihre Themen wären überholt. Doch dann kamen Joschka und seine Vergangenheit. Nicht er allein, sondern mit ihm viele ehemalige FreiheitsträumerInnen, die es sich schon wieder bequem gemacht hatten auf der Couch der Republik. Wir aber wollen wieder unbequem sein und an die Veränderung der Gesellschaft weiterführen.

Wir sind die ErbInnen der Grünen-Post-68er. Jung, Grün, natürlich links und die gesättigten Alten hinterfragend. Aber wir leben nicht in der Flowerpowerzeit. Wir schauen uns diese Zeit gerne an, staunen, bewundern, fragen nach. Wir nehmen das Erbe an. Wir sehen keinen Grund uns von dieser Zeit zu distanzieren. Die Werte des Protestes sind uns noch heute vertraut – auch die Nebenschauplätze des Spasses. Auch für uns ist es keine Ursünde, öffentlich zu sagen, Sex und Drogen sind geil.

Auch wenn wir kraftvolle Politik mit einem lustvollen Leben kombinieren, lassen wir uns nicht Anpassung und Mittelmäßigkeit in unsere Biographien schreiben. Geschichte wird auch von uns gemacht werden – und zwar weiter ökologisch, solidarisch, emanzipatorisch, friedlich und träumerisch. Aber auch individuell, real und verantwortlich. Dann wird’s auch was mit der Weltverbesserung.

Doch auch wir distanzieren uns – nicht von Joschka Fischer oder Jürgen Trittin, nein, von allen, die die 68er- Bewegung nun schlechtmachen oder gar immer noch für überflüssig halten. Wir möchten die 68er nicht heilig sprechen, sondern ihr Erbe antreten. Das, was wir an ihren Zielen und Methoden für falsch halten, wollen wir besser machen. So werden wir auf dem Pfad der Gewaltlosigkeit bleiben. Gewaltfreie Straßenblockaden gegen die Atomenergie haben in diesem Land mehr erreicht als Steine oder schöne Parlamentsreden. Prügelnde Putztruppen und Strassenschlachten der 70er Jahre gehören nicht zu unserem politischen Repertoire. Die Gewaltdebatte ist für uns beendet.

Die 68er waren eine Bewegung, die aus der Geschichte der Bundesrepublik nicht mehr wegzudenken ist. Sie waren die Generation, die 23 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes erstmals begonnen hat, diese Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie haben die richtigen Fragen gestellt. Warum hatten ehemalige Nazi- Funktionäre noch immer etwas zu sagen – sei es im Kanzleramt, an den Schulen oder in der Wirtschaft. Die 68er haben für Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Frieden und Menschenrechte gekämpft und einiges erreicht: Der Vietnamkrieg wurde beendet, das Atomausbauprogramm gestoppt, Frauenpolitik auf die Agenda gesetzt und das verkrustete Parteiensystem aufgebrochen. Nun liegt es an uns, die eingefahrenen Erfolge aufzunehmen und die immer noch anstehenden Problematiken in das Leben des 21. Jahrhunderts zu übersetzen.

Es gibt viel zu tun: Für Schumi`s Nachwuchs ist Rasen auf deutschen Autobahnen weiter erlaubt, Amerika bespitzelt uns mit dem Überwachungssystem Echelon und Frauen bekommen immer noch niedrigere Gehälter. Darüberhinaus steigt die Zahl der Drogentoten an, Asylsuchende werden am Flughafen wie Kriminelle behandelt und sogar Rüstungsexporte und Kriege in aller Welt nehmen wieder zu.

Visionen statt dogmatischer Ideologie

Wer die Welt verbessern will, muss wissen, wo es hingehen soll. Verstaubte Dogmen, wie sie Teile der alten 68er vor sich her trugen, dürfen nicht der Wegweiser sein. Im Gegensatz zum blinden Nachlaufen verbohrter kommunistischer oder anarchistischer Vorstellungen sind für uns Visionen eines besseren Zusammenlebens der maßgebende Faktor.

Unsere Visionen beziehen sich auf die Realität. Sie sind realistisch, pragmatisch und konstruktiv. Trotzdem unterscheiden sie sich von dem angepassten Gehabe vieler besonders radikaler Alt-68er und heutiger Spitzengrüner. Für uns sind Autos weiterhin „keine Eintrittskarte“ ins Erwachsenenleben, Kröten weiterhin schützenswerte und nicht zu schluckende Tiere und der Mut für den Einstieg in eine neue Energiepolitik und den Ausstieg aus der Atomenergie nicht altmodisch. Unsere Visionen dienen auch dazu, politischem Alltagsleben eine Richtung zu geben. An diesen Visionen muss sich Politik messen lassen, ob sie in die richtige Richtung geht oder ob sie vom Ziel abweicht.

Im Zeitalter ohne klares Freund-/Feindbild wollen wir das Gute wieder definieren. Wir bekennen uns zu weltverbesserischen Visionen. Uns ist aber dabei klar, dass Definitionshoheit über das Gute nicht allein bei uns liegt. Wir können aber unseren Teil dazu beitragen.

Männer an die Windel – Familie für alle

Die fetten Tröge der Macht und gesellschaftlichen Teilhabe waren in den 60er und 70er Jahren fest in Männerhand. Der Zirkel mit seinem männlichen Weltbild ließ sich von der Frau am Herd wenig sagen. Frauen in Führungspositionen waren eine zu vernachlässigende Randerscheinung. Das gilt sogar für die Rebellen von ’68. Auch gegen sie flogen die Tomaten der weiblichen Revolution. Die Auflehnung gegen das patriarchale System war überfällig. Neue Impulse in der Geschlechterfrage kamen durch die Frauenbewegung. Die Männerdominanz wurde radikal in Frage gestellt, Frauenrunden waren angesagt. Die Polarisierung der Geschlechter war nötig, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Die Position von Frauen in der Gesellschaft und in der Familie hat sich auch deshalb in den letzten drei Jahrzehnten stark gewandelt. Viele berufen sich zwar darauf, dass es normaler geworden ist, dass Frauen sich für den Beruf und gegen die Familie entscheiden, dass Frauen entscheidende Positionen besetzen und Männer sich als Hausmann um Windeln und Putzeimer kümmern. Auf dem Weg zu einer selbstverständlich emanzipierten Gesellschaft scheinen wir ein wesentliches Stück vorangekommen. Wir, die Kinder der Emanzipationsbewegung, glauben uns in großen Teilen für emanzipiert. Sind wir es aber wirklich? Männerdominierte TV-Formate des „Arsch-und-Titten-Fernsehens“ beweisen das Gegenteil. Wir bleiben deshalb nicht stehen oder geben uns mit dem Erreichten zufrieden. Das Verhältnis der Geschlechter steht noch auf der Agenda, da die Frage noch nicht gelöst ist. Karrierefrauen müssen noch immer mehr kämpfen für ihren Aufstieg, und noch zu oft bleibt der häusliche Abwasch beim weiblichen Geschlecht hängen. Die neue Generation junger Frauen lässt sich nicht mehr mit der zweiten Reihe abspeisen, sondern will selbst nach vorn. Deshalb werden wir uns erst zufrieden geben, wenn auch inkompetente Frauen in Führungspositionen genauso normal wie inkompetente Männer sind und Männer endgültig verstehen, dass Familie nicht nur eine Sonntagnachmittag- Beschäftigung ist. Erst dann ist ein normaler Geschlechterumgang erreicht.

Demo – kratie

Demokratie ist für uns nicht gleich Demokratie. Wer sich die 68er ansieht, kann genau erkennen, dass es große Unterschiede gibt. Einerseits gab es schon damals Leitbilder wie Daniel Cohn- Bendit, andererseits gab es aber auch ewige Diskussionen in den Kommunen oder in politischen Gruppierungen über die kleinsten Dinge. Keine Frage, es wurde viel erreicht, mehr Demokratie wurde gewagt. Wir sind aber noch lange nicht dort angekommen, wo wir wirklich hin wollen. Für uns bedeutet Demokratie, eine weitreichende Beteiligung aller BürgerInnen an den Entscheidungen, die in unserem Staat getroffen werden, herzustellen. Neue Einflüsse und auch neue Technologien geben uns die Möglichkeit, weitere Mitspracherechte für BürgerInnen zu schaffen. Diese müssen genutzt werden. Hier reicht es nicht nur Informationen und Protokolle bereit zu stellen. Denn Informationen zu geben ist eine Sache, Anregungen und Debatten darüber zu zulassen, zu zuhören und mit entscheiden zulassen eine andere.

Unter Demokratie stellen wir uns vor, dass Anregungen und Meinungen von BürgerInnen in die tatsächlichen Debatten mit einfließen. Nicht nur in das eine Ohr rein und vom anderen wieder raus gehen. Wir hören noch lange nicht bei BürgerInneninitiativen auf. Wir wollen direkte Beteiligungsmöglichkeiten für BürgerInnen fern von Parteien und Lobbyorganisationen. Politische Debatten hinter verschlossenen Türen lehnen wir ab. Entscheidungen und Meinungsbildungsprozesse müssen mitgestaltet werden können. Es sollte egal sein, wie viel Geld eineR hat und welche Partys mensch sponsern kann. Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse. Nicht der Geldbeutel regiert, sondern wir alle. JedeR muss die Möglichkeit haben, ihre und seine Überzeugungen gleichwertig einzubringen. Wir setzen auf Meinungsvielfalt und kontroverse Diskussionen. Parteien dürfen kein diskursfreier Harmonieverein werden. JasagerInnen haben noch nie für notwendige Reformen gesorgt. Gerade der tabubrechende Joschka hat es geschafft viele Themen auf die Tagesordnung der politischen Debatte zu setzen. Auch für uns ist Mittelmäßigkeit kein Ziel, sondern ein Alptraum. Störfallfreie Biografien sind nicht unser Fall- nur wer wirklich gelebt hat, kann auch als Vorbild dienen und die Demokratie weiter voran bringen. Wer sich verändert, bleibt sich treu! Nur Idioten verändern sich nicht. Doch Demokratie lässt sich für uns nicht nur an Debatten und Diskussionen fest machen. Auch Aktionen und Demonstrationen gehören für uns unzertrennlich zur Demokratie. Ein politisches Leben kann nicht nur daraus bestehen in irgendwelchen Hinterzimmern dahin zu vegetieren und dort zu debattieren, mensch muß auch auf die Straße gehen und andere Menschen von ihren/ seinen Meinungen überzeugen. Demonstrationen, Kampagnen und politische Events sind für uns ein essentieller Bestandteil unseres politischen Lebens. Daher wünschen wir uns, dass diese Möglichkeit des politischen Engagements von vielen BürgerInnen genützt wird und so unseren Staat lebendiger und demokratischer machen.

Der Container ist überall

Die Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung ist bedroht. Damals wie heute. Was 68 die Notstandsgesetze waren, sind heute das Post- und Fernmeldegeheimnis. Nur eines hat sich geändert: Überwachung ist bald immer und überall. Big Brother als Vorbote einer neuen Welt der Kameraverfolgung. Doch in den 68ern sind Leute auf die Straße gegangen und haben gegen die Notstandsgesetze und gegen Berufsverbote demonstriert. Damals hat es Leute bewegt, als ihre Grundrechte eingeschränkt wurden. Heute merkt es keineR mehr, dass die private Kommunikation via eMail abgehört werden kann oder sogar schon wird. Es stört keineN, dass Firmen sämtliche Daten über Person, Einkaufsverhalten und Vorlieben sammeln, um diese wieder an andere Firmen zu verkaufen und zu Werbezwecken heranziehen. Gerade im Punkt Schutz der Privatsphäre dürfen wir nicht dort stehen bleiben, wo die 68er aufgehört haben. Wir treten das Erbe an und stellen uns gegen Überwachung und Spitzeltum. Wir wollen eine Welt in der jedeR frei entscheiden kann, was der Mensch gegenüber von ihr/ ihm weiß und was nicht.

Das größte Problem ist derzeit, dass keineR merkt, wie sehr der Überwachungsstaat fortschreitet. Dank Neuen Medien ist es einfacher geworden, Menschen in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einzuschränken. Von Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen über “Echelon“, bis hin zum “großen Lauschangriff”- Neue Medien werden immer häufiger dazu missbraucht, Menschen in allen Lebensbereichen zu überwachen. Gleichzeitig wird in den Massenmedien durch Sendungen wie “Big Brother”, “Girls Camp” etc. eine unbewusste Akzeptanz allgegenwärtiger Überwachung erreicht. Wir fühlen uns berufen dazu, das Recht auf Privatsphäre zu schützen. Doch das geht derzeit nur über Aufklärung und deutliches aufzeigen der neusten Probleme. Wir haben die Aufgabe, Menschen zu sensibilisieren und wachzurütteln.

Uns geht es nicht darum Neue Medien abzulehnen. Ganz im Gegenteil. Wir gehören zur Generation @, wir nutzen Neue Medien und haben alle ein Netzleben. Doch verbleiben wir nicht in purer Euphorie, sondern sehen auch die Risiken dieser Technologie. Deshalb stellen wir uns gegen den Trend des Datensammelns und Datenklaus. Wir lehnen grundsätzlich jede Form der Überwachung ab. Statt dessen setzen wir uns ein für ein unbewachtes Leben in Freiheit- mit und ohne Neue Medien.

Joint together

In der 68er Bewegung wurde bereits begonnen, das unsinnige Verbot von Cannabis und anderen berauschenden Substanzen laut und öffentlich zu kritisieren. Dabei war es anfangs noch leicht die Legalisierung zu fordern, da das Hanfverbot in Deutschland erst nach Ende des 2. Weltkrieges durchgesetzt wurde. Mit den entstehenden Subkulturen unter den Jugendlichen entstand auch wieder eine Akzeptanz gegenüber dem Konsum von illegalen Substanzen.

Doch der Staatsapparat sah diese Sache etwas differenzierter. So wie die gewaltbereiten Strömungen, die sich aus der 68er Generation entwickelten, so wurde auch der zunehmende Konsum von Cannabis und LSD als Vorwand genommen, den Polizeiapparat weiter auszubauen.

Doch heute stellen gesetzliche Barrieren für die Masse der Jugendlichen keine Grenzen mehr da, wenn es um den Umgang mit verbotenen Drogen, wie Cannabis, Zauberpilze oder Ecstasy, geht. Es ist nicht zu leugnen, dass Drogen trotz des Verbotes überall verfügbar sind. Wer sie konsumieren möchte, kann sie sich beschaffen und läßt sich von einem Verbot nicht davon abhalten. Ein Staat, welcher seinen erwachsenen BürgerInnen ein Recht auf Alkoholrausch zugesteht, kann dieses Recht auf Rausch CannabiskonsumentInnen nicht vorenthalten. Hier hat der Staat die eigenen Grenzen der Legitimität verlassen.

Wie einst die Schwulen und Lesben trotz der Illegalität sich nicht mehr davor scheuten, die Debatte über ihre Ungleichbehandlung in der Öffentlichkeit auszutragen, so sind es nun vornehmlich junge Menschen, die sich gegen das unsinnige Verbot weicher Drogen öffentlich auflehnen. Erstaunlicherweise ist die Legalisierung das Thema, das Jugendliche aus den verschiedensten sozialer Schichten und Subkulturen miteinander verbindet.

Unser Ziel ist, dass die Gesellschaft das Recht auf jeglichen Rausch toleriert. Das bedeutet auch, dass ein eigenverantwortlicher Umgang mit Drogen erlernt wird. Mündigkeit im Konsum muss jeder Person im Rahmen des Jugendschutzgesetz zugestanden werden. Dass dies möglich ist, beweisen uns mehrere Naturvölker welche seit Jahrtausenden Drogenkonsum als festen Bestandteil ihrer Kultur verstehen, ohne dass sich dabei Menschen von den Substanzen abhängig machen lassen.

Es ist 5 nach 12 – jetzt handeln

Viele argumentieren heute “Ich trenne doch den Müll, was wollt Ihr denn noch?”. Uns reicht das noch lange nicht. In den 68ern entwickelte sich durch alternativ- ökologische Bewegungen zwar eine Art Umweltbewußtsein in den Köpfen der Gesellschaft. Daraus entstanden auch wichtige Organisationen wie der BUND und Greenpeace. Diese haben es geschafft eine etablierte Größe zu werden und kämpfen heute noch aktiv für den Umweltschutz. Doch leider wurden die notwendigsten Maßnahmen zur Bewahrung der Natur, wie die weltweite Reduzierung des CO2-Emissionen und Regenwaldrodungen bis heute vernachlässigt. Denn seit in Rhein und Ruhr keine toten Fische mehr treiben, ist das “Problem Umwelt” in den Köpfen der Bevölkerung der westlichen Welt verschwunden. Trotz der schon sichtbaren Folgen fortschreitender Industrialisierung und zunehmender Verschwendung von nicht regenerierbaren Lebensgrundlagen wie die Gefahr globaler Wasserknappheit, interessieren sich heute, wie die neueste Shell- Studie sagt, vor allem junge Leute nicht für den aktiven Schutz der Welt. Denn das Auseinandersetzen mit Problemen paßt nicht in das Bild der Spaßgesellschaft, ist sogar mega- uncool. Leider müssen wir Euch enttäuschen: Klimakatastrophen oder das Artensterben warten nicht, bis sie irgendwann mal “in” sind und in den Container kommen.

Auf die Regierung bzw. Parteien alleine können und wollen wir uns nicht verlassen. Profitgeile Industriebosse flüstern der Regierung ihre Interessen ins Ohr, anstatt dass auf UmweltlobbyistInnen gehört wird. Diese bleiben im sauren Regen stehen und müssen sich dabei als durchgeknallte weltfremde SpinnerInnen beschimpfen lassen. Das halten wir für falsch, wenn nicht sogar für dumm. Wir sind nicht so dumm und hoffen auf bessere Zeiten. Nein – Wir werden die Zukunft in Sachen Umweltpolitik selbst in die Hände nehmen. Nicht mit den Rezepten von gestern, sondern von morgen. Dabei stehen wir für nichts weniger als Revolution: Für die Effizienzrevolution und Solarrevolution zur Energiewende, für abfallfreie Kreisläufe, für Naturschutz und für aktiven Widerstand und Aufbegehren gegen die Zerstörung unseres Planeten. Dabei fangen wir wie die 68er in globaler Verantwortung vor der eigenen Haustür an und lehnen uns an die wichtigste Erkenntnis der Anfänge der Umweltbewegung an: Die Ressourcen sind endlich. Sei es Öl, Kohle, Uran oder Boden, Meer oder Natur. Es gibt keine Alternative zur Begrenzung des quantitativen Wachstums.

Was wir wollen ist Lebensqualität nicht nur für uns, sondern für alle. Nur weil die von uns verantwortete Klimakatastrophe in erster Linie die Länder des Südens trifft, dürfen wir unsere Augen nicht verschließen. Globale Verantwortung – auch für das vietnamesische oder südafrikanische Dorf – ist auch eine Lehre aus 68. Hier sind wir in unseren Forderungen radikal: Wer sich vor der Verantwortung drückt und jetzt nicht handelt, muss blechen, sowohl Industrie als auch jedeR Einzelne von uns. Das Primat der Grashalme gegenüber Teer ist Teil einer verantwortlichen Zukunftspolitik.

BewegungsEnergie

Der Kampf der Nach68er richtete sich auch bald gegen die Risikoenergie Atom und für eine andere Energiepolitik. Die Massendemonstrationen in Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben waren auch Zeichen des Mißtrauens gegen parlamentarische Politik. Nun wurde unter grüner Regierungsbeteiligung ein Atomkonsens verabschiedet, der in den Augen seiner MacherInnen das siegreiche Ende dieses Kampfes einläuten soll. Wir machen da weiter, wo die Bundesregierung aufgehört hat. Der Atomausstieg, den Jürgen Trittin ausgehandelt hat, ist für uns nur ein Anfang – wir werden auf den Straßen und Schienen weiterhin versuchen, das umzusetzen, was auf parlamentarischen Wegen anscheinend nicht erreichbar war.

Hier haben uns die 68er gute Vorbilder geliefert. Sie waren es, die den gewaltfreien Widerstand und zivilen Ungehorsam etabliert haben. Wir werden diese Tradition fortführen und uns den kommenden Castor- Transporten nicht mit Steinen, sondern mit Sitzblockaden und Phantasie widersetzen. Unser Widerstand gegen hochgefährliche AKWs ist dabei – wie damals – natürlich nicht allein auf die Bundesrepublik beschränkt. Nein, unser Widerstand ist grenzenlos – und darum richtet er sich auch gegen den tschechischen Schrottreaktor Temelin. Doch wir wollen nicht nur gegen diese gefährliche Energieerzeugung kämpfen, sondern endlich Alternativen sehen. Unsere Steckdose ist uns nicht egal. Wir wollen grünen, sanften Strom aus Sonne, Wind und Biomasse. Diese Kräfte sind bereits im Überfluß vorhanden, werden aber noch nicht ausreichend genutzt, bzw. wollen nicht genutzt werden. Energie ist das Thema des 21.Jahrhunderts, die Nach68er haben auf das Problem aufmerksam gemacht. Energieeffizienz und neue Energien sind die Lösung, die wir manchmal auch im Dissens mit der machtbewußten Energiewirtschaft durchsetzen müssen.

Unser Ziel ist eine Welt, in der nur Sonne, Wind und Biomasse die Motoren bewegt.  

Next Economy – sozial und gerecht

War die Wirtschaft zu Zeiten der 68er hauptsächlich durch ein Bild der klassischen Industrialisierung mit Fließbandarbeit, Großanlagen und Hierarchien von “Bossen”, Angestellten und ArbeiterInnen geprägt, so sehen wir uns in der Gegenwart teilweise völlig neuen bzw. komplexeren Bedingungen gegenüber. Zum einen hat es die Wirtschaft innerhalb kurzer Zeit geschafft, mächtige globale Strukturen zu etablieren, zum anderen entstehen in vielen Branchen neue Arbeitsbeziehungen. Selbstverwaltung, Genossenschaften, Dezentralisierung, MitarbeiterInnenbeteiligung und mehr demokratische Kultur und Mitbestimmung in vielen Betrieben sind auch ein Erbe der 68er, jedoch auch der Einsatz gegen Monopole z.B. in Medien und Wirtschaft. Vielfalt und Selbstbestimmung waren und sind die Schlüsselworte auch für die heutigen ErbInnen der 68er. Für manche Gesellschaftsgruppen bringt die Entwicklung deutlich mehr Chancen der Selbstverwirklichung mit sich,. Jedoch entsteht für den Großteil der Bevölkerung statt der großen Freiheit lediglich ein weitaus größeres Risiko. Menschen, die sozial schwächer gestellt sind oder die einen niedrigen Bildungsstand aufweisen, haben nichts von den neuen Möglichkeiten. Sie müssen vielmehr mit dem vorliebnehmen, was die neue Elite für sie übrig lässt. Arbeitsplätze in der sog. “Dienstleistungsgesellschaft” sind für uns allein noch kein Fortschritt. Zwischen Fließbandarbeit und der Vollzeittätigkeit als freier “Call-Center-Agent” ist kein gesellschaftlicher Fortschritt erkennbar. Oft waren bereits damals die ArbeiterInnen in den Fabriken auch dank des Drucks der 68er besser sozial abgesichert als die Beschäftigten in den Billig- Jobs der Dienstleistungsgesellschaft heute. Gewerkschaften und Betriebsräte sind noch lange nicht tot, sondern werden – in modernisierter Form – in den heutigen Zeiten mehr denn je für eine gerechte und solidarische Arbeitswelt gebraucht.

Wir wollen, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, einen Beruf zu wählen, in dem sie oder er ihre Fähigkeiten bestmöglich einsetzen kann. Neue Konzepte wie BürgerInnenarbeit, soziale Grundsicherung etc. sind grundsätzlich zu begrüßen. Uns ist dabei aber wichtig, dass dies jedem in Deutschland wohnenden Menschen zu Gute kommt und die Grundsicherung so hoch ist, dass mensch wirklich gut davon leben kann. Arbeit ist zwar ein wichtiges Element gesellschaftlichen Lebens, wird aber heute häufig viel zu sehr in den Mittelpunkt gestellt. Dass es mehr Lebensziele gibt als Lohnarbeit, ist auch ein Erbe der 68er.

Egal ob „New“, „Old“, „New Old“ oder sonstwie-Economy – es handelt sich immer um Wirtschaftsunternehmen, die mit ihrem Geschäft möglichst viel Gewinn erwirtschaften wollen – Business as usual. Moderne Wirtschafts- und Sozialpolitik soll sich unserer Meinung nach nicht an schnelllebigen Trends des Wirtschaftslebens orientieren. Sie sollte vielmehr Rahmenbedingungen setzen, die vor allem auch den Schutz der MitarbeiterInnen, des Gemeinwohls und der Umwelt gewährleisten. Wir lehnen den Ruf nach immer mehr Flexibilisierung der Märkte ab. Wir sehen mit Sorge, dass durch die Globalisierung und Flexibilisierung der neuen und alten Wirtschaft die Welt immer weiter in reich und arm gespalten wird und dass Sozial- und Umweltstandards zurückgenommen werden. Diese negativen Entwicklungen der Globalisierung zu stoppen bzw. rückgängig zu machen ist unser eigentliches Ziel.

Wir vertrauen unsere wirtschaftliche Zukunft nicht den wenigen Global Playern an, die mittlerweile einen Großteil des Weltmarktes kontrollieren. Ein buntes und lebendiges Netz von mittelständischen Unternehmen und Kleinstbetrieben schafft eine ökologische und sozial ausgewogene Wirtschaftsstruktur im Gegensatz zu den multinationalen Großkonzernen. Daher muss versucht werden, ein Gleichgewicht zwischen den regionalen und globalen Wirtschaftsstrukturen herzustellen. Notwendig ist in diesem Zusammenhang auch eine demokratisch legitimierte Weltwirtschaftsinstanz, die insbesondere die sozial gerechte und umweltgerechte Verteilung und Nutzung der weltweiten Ressourcen kontrolliert. Zudem sind NGOs zu fördern, die Globalisierungstendenzen kritisieren. Diese sind für uns ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und setzen die globale Kritik und Arbeit der 68er fort. UnternehmerInnen sind für uns kein pauschales Feindbild mehr, wir sitzen vielmehr alle in einem Boot. Wie die 68er fordern wir aber auch von Unternehmen, so wie von jedem anderen gesellschaftlichen System, soziale und ökologische Verantwortung. Chemiekonzerne, Baufirmen oder Rüstungsunternehmen werden auch weiterhin bekämpft, wenn sie im Einzelfall aus Profitinteressen Elend, Verschmutzung und Zerstörung in Ländern des Südens hervorrufen. Gesellschaftliche Verantwortung für die Folgen seines Tuns zu beachten und sich nicht hinter angeblichen marktwirtschaftlichen Zwängen zu verstecken, wenn falsches getan wird, ist eine der wesentlichen Errungenschaften der 68er. Ebenso wie Solidarität mit den Menschen, die unter unserer Wirtschaftsweise leiden. “Next Economy” nennen wir unsere Vision eines gerechten und modernen Wirtschaftssystems. Next Economy umfasst Betriebe jeder Größe, die durch ihre Arbeit ideenreich und engagiert unsere Gesellschaft ein Stück vorwärts bringen. Dabei werden stets ethische sowie ökologische Kriterien beachtet. Gesellschaftlicher Nutzen ersetzt die Gewinnerzielungsabsicht als höchstes Unternehmensziel. Um diese Vision Stück für Stück Realität werden zu lassen, müssen wir beginnen, viele gewohnte Dinge unseres Lebens zu hinterfragen und aus den Angeln zu heben. Die 68er haben ansatzweise vorgeführt, wie das gehen kann. An uns liegt es nun, erneut aufzustehen und mit neuer Energie neue Realitäten zu schaffen.

Pluralität und Vielfalt

Die alte Bundesrepublik hatte in den ersten Jahren viele zivilisatorische Fortschritte vorzuweisen: demokratischere Institutionen, eine aufblühende Wirtschaft und einen modernen Sozialstaat. Doch eine demokratische, tolerante und weltoffene Kultur und Seele fehlte. Minderheiten wurden ausgegrenzt, bestenfalls ignoriert. Das galt für Lesben und Schwule, KifferInnen und MigrantInnen, soziale Randgruppen und QuerdenkerInnen. Anpassung und Mainstream waren die wichtigsten Anforderungen an Minderheiten. Die Köpfe lebten in einem spiessigen Muff und in einer starr begrenzten Weltsicht, die ausser der nördlichen Erdhalbkugel und der eigenen Bürgerlichkeit wenig zur Kenntnis nahm.

Gegen den provinziellen Kleingeist mit wenig Toleranz sind die 68er angetreten. Sie haben ohne Zweifel viel Frischluft in die Stuben reingelassen. Der Blick wurde über den Tellerrand des reichen Europa geweitet. Die Politik der Eine- Welt spielte plötzlich eine Rolle. Dass nicht mehr nur über Gäste diskutiert, sondern MigrationsbürgerInnen auf gleicher Augenhöhe der hier Lebenden angesehen werden, ist auch ein Verdienst der Bewegung. Doch diese Prioritäten verschwanden schnell wieder aus den Köpfen der Bevölkerung. Argumente über den wirtschaftlichen Nutzen von Randgruppen bestimmten immer häufiger die Diskussionen. Zur Weltoffenheit und Vielfalt fehlt heute noch ein ganzes Stück. Gleichbehandlung und Respekt gegenüber aus dem Rahmen Fallenden müssen immer wieder hart erkämpft werden. Schwulsein ist noch längst keine gesellschaftlich tolerierte Liebesform. Wir wollen eine erneute geistige Durchlüftung der Köpfe. Damit das Eintritt sind aber viele gefordert. Minderheiten müssen aus ihren Schlupflöchern raus und ihr Existieren demonstrieren, auch MainstreamerInnen müssen umdenken und sich dazu bekennen: Auch sie gehören Minderheiten an. Andererseits, ist es aber wichtig, dass wir uns mit diesen Gruppen solidarisieren und auf Pluralität statt Einheitsbrei bauen.

Deutlich muß gesagt werden, dass hierzu auch ein offenes Asylrecht gehört, das jedem Flüchtling zusteht, egal über welche Grenze sie oder er es schafft. Viele 68er halfen direkt oder indirekt politischen Flüchtlingen aus aller Welt. Denn Pluralität umfasst für uns nicht nur Deutsche. Nein, es betrifft alle, die nach Deutschland wollen. Wir bauen auf eine Gesellschaft, die sich auf ein buntes Multikulti freut und nicht einer fiktiven bürgerlichen “Leitkultur” nachrennt.

Minderheiten aller Art sind für uns kein gesellschaftlicher Störfaktor. Sie sind wichtig und erfrischend für jedeN andereN. JedeR, der Taubenzüchter und Raver, die Skaterin und die Gärtnerin, soll sich zur individuellen Minderheit bekennen. Dann schaffen wir eine Welt des Verständnisses und Respekts. Multi statt einfältig – Kulti statt von gestern.

Let’s go

In der Tradition der 68er wollen auch wir provozieren, überspitzen und Denkanstöße geben. Allerdings mit den Themen von morgen. So bewegt sich etwas, lernen wir aus 68.

Unser Leben in der Postmoderne ist geprägt vom Gedanken der Pluralität. Ein Miteinander der Kulturen und Individualität in Toleranz und gegenseitigem Respekt sind sehr viel cooler als dumpfe Naziparolen. Unsere Welt ist bunt. Hier ist Platz für alle: KifferInnen, wie NichtraucherInnen, VeganerInnen wie BioFleischkonsumentInnen, SpießerInnen wie Ausgeflippte, Homo- wie Heterosexuelle, PolitikerInnen wie Politikverdrossene. Nur faschistisches Gedankengut hat bei uns nichts zu suchen. Politik sollte auch mit, von und für die gemacht werden, die mit ihren Auswirkungen leben müssen. Alles verändert sich, wenn Du es veränderst, doch du kannst nicht gewinnen, solange du allein bist! Also einmischen!!

AutorInnen: Werner Graf, Sprecher Grüne Jugend Bundesverband, 20 – Ines Eichmüller, Vorsitzende Bündnis 90/ Die Grünen Nürnberg, 20 – Katrin Schmidberger, Sprecherin Grüne Jugend Bayern, 18 – Daniel Kühne, Sprecher Bündnis 90/ Die Grünen Mittelfranken, 26

MitautorInnen: Markus Ganserer, Sprecher des Fachforum Drogen der Grünen Jugend Bundesverband, 23 – Sara Hausleiter, Parteiratsmitglied von Bündnis 90/ Die Grünen in Bayern, 17 – Markus Janser, E-Business Consultant, Mitglied im Netzwerk Neue Medien der Heinrich-Böll-Stiftung und im Fachforum Neue Medien der Grünen Jugend, 25 – Christian Meyer, Landesvorstand Bündnis 90/ Die Grünen Niedersachsen

UnterzeichnerInnen: Benjamin von der Ahe, Landesvorstand Grüne Jugend Niedersachsen, 24 – Ruth Langhans, Geschäftsführerin der Grünen Jugend Niedersachsen, ?? – Markus Sippl, Schiedsgericht Grüne Jugend Bundesverband, 28 – Marianne Vicari, Beiratskoordination der Grünen Jugend NRW, 18 – Emanuel Kotzian, Rechnungsprüfer Grüne Jugend Bundesverband, 28 – Martina Wild, KV Augsburg, 24 – Markus Beckedahl, Sprecher des Fachforum Neue Medien der Grünen Jugend Bundesverband, 24 – Jakob Klein, Zeitungsverantwortlicher Grüne Jugend NRW, 19 – Jan Neuhann, Grüne Jugend Remscheid, 18 – Konstantin Knorr, Landesvorstand Grüne Jugend Niedersachsen, Sprecher KV-Hannover-Land, 20 – Florian Wilde, Sprecher Grüne Jugend Nürnberg, 19 – Andreas Atzl, Landesschatzmeister Grünes Jugendbündnis Rheinland-Pfalz, 18 – Marcel Raschke, Sprecher Grüne Jugend Lippe, 20 – Axel Nordmann, Grüne Jugend Bamberg – Mathias Fuckerer, Sprecher Grüne Jugend Mittelfranken, 27