Bericht zum Fachgespräch: Was bedeuten die Pläne der SIGNA für unsere Kieze in Kreuzberg und Neukölln?

Ende September haben meine Fraktionskollegin Susanna Kahlefeld und ich zu einem Online-Fachgespräch eingeladen, um mit Expert*innen, Anwohnenden und allen Interessierten über den aktuellen Stand und die möglichen Auswirkungen eines solchen Projektes zu diskutieren. Dabei ging es auch um eine Bewertung der Einigung zwischen Senat und SIGNA und die Frage, welche konkreten Möglichkeiten bestehen, hier drauf noch Einfluss zu nehmen. Teil der Diskussion war ebenso, was die Menschen vor Ort brauchen und wollen – jenseits der Vorstellung des Investors.

Ein Audiomitschnitt des Fachgesprächs ist hier zu finden.

Los ging die Diskussion mit einem kurzen Überblick zum aktuellen Stand. Seit einiger Zeit sieht der Plan der SIGNA für das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz dessen Abriss und den Neubau eines deutlich größeren Gebäudes mit Fassade Baus von 1927-29 vor. Der Immobilienkonzern kämpft derzeit mit allen Mitteln für eine Baugenehmigung. Mit dem Letter of Intent (LOI), den SIGNA mit dem Berliner Senat abgeschlossen hat, verspricht SIGNA vorerst vier der sechs zu schließenden Karstadt-Filialen Berlins zu retten, um im Gegenzug vom Senat eine Baugenehmigung für drei verschiedene Orte zu erhalten. Somit sollen Neubauten am Kurfürstendamm, am Alexanderplatz und am Hermannplatz ermöglicht werden. Bezüglich des Baus am Hermannplatz soll ein zügiges Masterplanverfahren durchgeführt werden. Der Senat würde damit die Planungshoheit über den Hermannplatz an sich ziehen, welche bisher auf Bezirksebene in Friedrichshain-Kreuzberg gelegen hat. Der Stadtentwicklungsausschuss des Bezirks hatte 2019 die Neubaupläne SIGNAs abgelehnt.

SIGNA stellt seine Neubau-Pläne als soziales und alternatives Projekt vor, doch schon lange formiert sich in der Zivilgesellschaft erheblicher Widerstand gegen die Pläne. Zusammen mit Susanna Kahlefeld und der grünen BVV-Fraktion in Friedrichshain-Kreuzberg fordern wir daher, dass das Planungsrecht auch weiterhin auf Bezirksebene verbleibt und dass es zur Umgestaltung des Hermannplatzes ein ergebnisoffenes, transparentes Beteiligungsverfahren geben soll.

Als Expertin für das Fachgespräch war Theresa Keilhacker eingeladen. Sie ist Architektin bei „Aktiv für Architektur“ mit dem Fachgebiet nachhaltiges Planen und Bauen. Sie bezweifelt die ökologische Bilanz des Neubaus, wie sie von SIGNA veröffentlicht wurde. Die Berechnung der CO2 Bilanz sei kompliziert und in einem so frühen Stadium der Planung kaum möglich. Jeder Abriss sollte soweit es möglich ist aus ökologischen Gesichtspunkten immer in Frage gestellt werden. Zudem sei beim Abriss des Gebäudes am Hermannplatz auch der geltende Denkmalschutz zu beachten.

Dass das Verkehrskonzept des Platzes dringend überarbeitet werden muss, dürfte allen klar sein, eine solche Planung sei aber von den Plänen SIGNAs völlig unabhängig. Da SIGNA beide Vorhaben in seinen Darstellungen oft miteinander verknüpft, ist es also wichtig der Bevölkerung klarzumachen, dass ein verbessertes Verkehrskonzept für den Hermannplatz auch unabhängig von der Planung des Karstadt Gebäudes durchgeführt wird. Keilhacker war bei der Planung für den Checkpoint Charlie beteiligt, auch hier gab es anfangs einen Letter of Intent, dessen Inhalt aber durch ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis gekippt werden konnte. Bei diesem Prozess sei klar geworden, so Keilhacker, dass Berlin sich nicht von Investor*innen unter Druck setzen lassen muss, sondern die Gestaltungshoheit von für die Stadt wichtigen Plätzen behalten muss. Die Festschreibung von sozialer Bodennutzung in B-Plan-Verfahren sei eine Möglichkeit dazu.

Beim Fachgespräch mit dabei war auch Hülya Kilic, seit 13 Jahren Inhaberin eines Ladens in der Oranienstraße und bei der Initiative Oranienstraße Kreuzberg 36 (IOK36) aktiv. Sie hebt hervor, dass durch den geplanten SIGNA Neubau die Preise für Mieter*innen und Gewerbetreibende der Umgebung massiv in die Höhe getrieben werden würden, was den Kiez langfristig und unumkehrbar verändern würde. In der Umgebung gäbe es zudem eine große Diversität, u.a. besonders viele Ladeninhaber*innen und Mieter*innen mit Migrationshintergrund, die durch eine solche Entwicklung von Verdrängung bedroht wäre. Sie wünscht sich, dass die Bevölkerung sowie die Ladeninhaber*innen besser vom Bezirk über die Planungen informiert werden, da sonst die Gefahr besteht, dass große Teile der Bevölkerung gar nicht oder nur durch die SIGNA Kampagne Informationen erhalten. Einem möglichen Beteiligungsprozess stehen Kilic und viele weitere Teilnehmer*innen der Runde mit Skepsis gegenüber, da das bei anderen Projekten wiederholt genutzt worden seien um schon feststehende Pläne zu legitimieren. Keilhacker erläutert, dass sich im Falle vom Checkpoint Charlie das Beteiligungsverfahren bewährt habe, insbesondere dadurch, dass aufsuchende Beteiligung eine große Rolle gespielt hat. So wurden Bewohner*innen und Nutzer*innen einbezogen, die sich ansonsten nicht beteiligt hätten.

Dritter eingeladener Gast war Tobias Losekandt von der Kreativwirtschaftsagentur Berlin. Er berät schon seit Jahren Kunst- und Kreativschaffende in Neukölln und ganz Berlin. Er stellt fest, dass ein großer Teil der Kreativ- und Kulturschaffenden Neuköllns für alternative Lebens- und Arbeitsformen stehen, die durch die derzeitigen Entwicklungen zunehmend bedroht seien. Ein SIGNA Neubau würde diese Bedrohung noch verstärken, da die Mieten dadurch voraussichtlich stärker ansteigen. Allerdings gäbe es, so Losekandt, auch Beispiele, in denen eine Veränderung der Baustruktur durch einen guten Einbezug der Bevölkerung und der Kunst- und Kulturszene eine positive Wirkung auf das Umfeld mit sich gebracht hat. Das Aufbauhaus am Moritzplatz sei so ein Fall. Auch Keilhacker berichtet von einem Gebäude welches durch die Einbeziehung bestehender Strukturen und Bedarfe der Bevölkerung sowie behutsamer Sanierungen einen positiven Effekt auf den Kiez hatte. Das alte Hertie Gebäude in der Turmstraße wurde so aus dem Bestand heraus behutsam entwickelt.

Befürchtungen aus dem Publikum, dass die Karstadt-Angestellten bei einem Nichtzustandekommen des Deals in die Arbeitslosigkeit rutschen würden, sind nachvollziehbar. Allerdings seien die Arbeitsplätze höchstens für ein paar Jahre abgesichert und würden nur einen unsicheren Aufschub der Kündigungen bedeuten, wie in der Diskussion erläutert wird. Dies dürfe kein Argument sein, um mehreren städtebaulich sehr relevanten Bauvorhaben, die die Stadt und die Kieze langfristig verändern, grünes Licht zu geben.

Klar ist, das Thema wird uns auch in den nächsten Monaten noch begleiten. Es ist für die umliegenden Kieze und ihre Entwicklung in den nächsten Jahren ein entscheidender Faktor. Zusammen mit meiner Fraktionskollegin Susanna Kahlefeld planen wir daher, Anfang nächsten Jahres ein weiteres Gespräch zum Thema zu organisieren.