Der gequälte Kontinent – Afrika ohne Hoffnung?

Über 75 Prozent der im subsaharischen Afrika lebenden Menschen müssen derzeit mit weniger als zwei US-Dollar am Tag überleben. Zum Vergleich: Selbst eine europäische Kuh bekommt täglich 2,50 US-Dollar an Subventionen, die japanische sieben. 33 der 40 ärmsten Länder befinden sich in Afrika. Wie es dazu kommen konnte, das erklären Bundessprecher Stephan Schilling und SPUNK-Redakteurin Katrin Schmidberger.

Während sich in den anderen Entwicklungsländern das reale Pro-Kopf-Einkommen in den letzten zehn Jahren verdoppelte, ist in Afrika die Extremarmut sogar gestiegen: 1990 galten 242 Millionen Menschen in Afrika als „extrem arm“, knapp zehn Jahre später waren es schon 300 Millionen. Etwa im gleichen Zeitraum sank der Anteil Afrikas am Welthandel von 2,5 Prozent auf 1,5 Prozent.

Auch die Bedingungen für die künftige wirtschaftliche Entwicklung verschlechtern sich. Insbesondere HIV/AIDS ist eine große Bedrohung: Nach www.un.org/ [UN]-Schätzungen lebten Ende 2000 von den weltweit 36,1 Millionen HIV-Infizierten 25,3 Millionen im subsaharischen Afrika. Auch das Bildungswesen verschlechterte sich: In 28 Ländern Afrikas können mehr als die Hälfte der Frauen weder lesen noch schreiben. Zudem gibt es nirgendwo pro EinwohnerIn weniger Telefone, Computer oder Internet-Anschlüsse. Schließlich macht sich der Raubbau an den Ressourcen des Kontinents bemerkbar, Nigeria beispielsweise hat nur noch zehn Prozent des ursprünglichen Regenwaldes, und die Sahara wächst und wächst.

Auch politisch gelingt es dem Kontinent nicht, sich zu stabilisieren. Immer wieder brechen anscheinend gelöste Konflikte aus, so zum Beispiel in der Krisenregion um die Großen Seen: Im Kongo, in Ruanda und in Uganda. Aber auch Positives kann aus Afrika berichtet werden: Südafrika wurde von afrikanischen Intellektuellen und einer gesellschaftlichen Bewegung aus der Apartheid in die Demokratie geführt und Tansania ist seit 1961 ein unabhängiger, stabiler und demokratischer Staat.

Wer trägt die Schuld am Elend?

Doch warum wandelt sich die Situation Afrikas nicht zum Guten, sondern verschlechtert sich sogar stetig? Selbst Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit ist das Erbe dieser Zeit allerorts präsent: Die ethnische Auseinandersetzung zwischen Hutu und Tutsi, die 1994 zum schrecklichen Völkermord in Ruanda führte und noch heute die gesamte Region der Großen Seen destabilisiert, wurde erst durch die deutschen und belgischen Kolonialherren geschaffen. Denn erst durch die Begünstigung seitens der Kolonialverwaltung hatten die Tutsi eine Machtfülle erreicht, eine Macht, die sie vorher nie innegehabt hatten. Die Kolonialherren schafften „ethnische Klischees“, die bis heute als Erklärung für fast alle Konflikte Ruandas herhalten müssen.

Auch die Regierungen selbst behindern die Entwicklung ihres eigenen Landes. Große Teile der Entwicklungsgelder und der Einnahmen durch Rohstoff-Verläufe kommen überhaupt nicht der Bevölkerung zu Gute, sondern wandern auf direkt auf die Bankkonten der HerrscherInnen. Zudem haben Jahre des Krieges, der Armut und der Korruption zu einem Zerfall der Staatlichkeit geführt – es gibt keine Institutionen mehr, die Sicherheit, Recht und Ordnung herstellen können. An die Stelle dieser Institutionen ist eine übles Bande aus Warlords, bewaffneten Rebellengruppen, transnationalen Konzernen, Söldnerheeren und organisierter Kriminalität getreten.

Hinzu kommt, dass die globalen Welthandelsstrukturen Afrika nachwievor ausgrenzen: Im Vergleich zu den 50er Jahren muss Afrika heute mehr als doppelt so viel Rohstoffe verkaufen, um mit dem Erlös die gleiche Menge importierter Industriegüter bezahlen zu können. Neben hohen Subventionen werden erhebliche Marktbarrieren – wie gigantische Außenzölle auf Agrarprodukte – für Exporte der Entwicklungsländer aufrechterhalten. Garniert wird dies alles noch mit dem unstillbaren Drang der Ölkonzerne, die natürlichen Ressourcen Afrikas gnadenlos auszubeuten.

Die Internationale Gemeinschaft schaut zu

Nach dem Ende des Kalten Krieges versuchte die internationale Gemeinschaft, stärker zur Lösung der Konflikte in Afrika beizutragen. Zwischen 1989 und 2001 fanden zwölf von 19 UN-Blauhelm-Einsätzen in Afrika statt. Die Resultate sind jedoch beschämend: In Ruanda schauten die Blauhelmtruppen dem Völkermord tatenlos zu. In Somalia wurden die UN-Truppen, unter Führung der USA, selbst in den Konflikt hineingezogen. Nach eigenen Verlusten ließen sie das Land im Chaos versinken. Andere UN-Einsätze waren derart ungenügend ausgestattet, dass ein Erfolg aussichtslos war. Gerade die EU und die USA sind kaum noch bereit, Truppen für UN-Einsätze in Afrika bereit zu stellen.

Paradebeispiel des Versagens der UN ist wohl der Sudan. Dort mussten in 21 Kriegsjahren etwa zwei Millionen Menschen sterben. Mindestens vier Millionen wurden bisher vertrieben. Seit 2003 sieht die Welt zu, wie die sudanesische Regierung Reitermilizen, die sogenannten „Dschandschawid“, beauftragt, um die Zivilbevölkerung – vor allem in der westsudanesischen Region Darfur – zu ermorden und alles zu zerstören. Der UN-Sondergesandte für den Sudan, Jan Pronk, kam im Oktober 2004 zu dem Schluss, dass sich die Lage dort katastrophal entwickelt habe und die sudanesische Regierung keinerlei Bemühungen unternommen hätte, die Morde und Vertreibungen zu stoppen. Die Gewalttaten hätten zugenommen, eine Entwaffnung der „Dschandschawid“ nicht stattgefunden.

Eine Sonder-Kommission empfahl dem Weltsicherheitsrat Ende 2004 dringend, die Angelegenheit an den Internationalen Strafgerichtshof – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – zu überweisen. Die USA lehnen den Gerichtshof jedoch ab und treten stattdessen für die Schaffung eines Tribunals in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union (AU) ein. Der Weltsicherheitsrat konnte noch nicht einmal wirtschaftliche Sanktionen gegen den Sudan beschließen, da China – Hauptimportland für des sudanisches Öl -, und Russland sich dagegen stellten.

Der Sudan steht hier symbolisch für die vielen Konflikte in Afrika, die – genau betrachtet – von der Internationalen Gemeinschaft nicht gelöst werden wollen. Zwar kommen Hilfslieferungen aus allen Ecken der Welt, aber politische Hilfe ist nicht zu erwarten.

Zudem versucht die internationale Gemeinschaft über Entwicklungshilfe Afrika auf die Beine zu helfen. Doch auch hier ist die Bilanz ernüchternd. Große Beträge verschwanden in unsinnigen Mammutprojekten oder flossen – wie oben schon angesprochen – gleich auf die Privatkonten korrupter Regierungen. Nur in wenigen Fällen, so beispielsweise in Tansania und Namibia, konnten die Entwicklungsgelder zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beitragen. Der Umfang der internationalen Hilfen ist jedoch schockierend: Verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft einst, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe aufzubringen, sind es derzeit gerade mal 0,3 Prozent. Die Industriestaaten geben nicht nur zu wenig, sie blockieren sogar dringend nötige Änderungen der Welthandelsstrukturen und bescheren so dem schwarzen Kontinent Verluste, die weit über den gelieferten Transferzahlungen liegen. Zudem wird Afrika durch einen gigantischen Schuldenberg – meist Hinterlassenschaften alter autoritärer Regime – erdrückt. Trotz vieler Ankündigungen, sind diese „illegitimen“ Schulden vom Westen noch nicht erlassen worden, was einen Neuanfang unmöglich macht.

Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche

Insgesamt drängt sich das Bild auf, dass die internationale Gemeinschaft gar kein ernst gemeintes Interesse an einer positiven Entwicklung Afrikas hat. Vergleicht mensch die Finanztransfers an Afrika (20 Mrd. US-Dollar/Jahr) mit denen nach Ostdeutschland (80 Mrd. US-Dollar) wird schnell klar, dass mit dieser Unterstützung wenig erreicht werden kann.

Doch Geld ist nicht alles. Der Westen hat mehr Möglichkeiten, Afrika zu unterstützen: Durch eine faire Repräsentation Afrikas in der UN. Durch eine Unterstützung der UN und der AU in Konfliktregionen. Durch Zugeständnisse bei den nächsten Welthandelsrunden. Durch einen Schuldenerlass für Staaten, die auf dem Weg in Richtung Demokratie sind.

Die Voraussetzungen in Afrika dafür bessern sich: Mit der NEPAD-Initiative haben die Regierungen Afrikas sich erstmals auf Good Governance, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Und mit der Afrikanische Union versuchen die Staaten Afrikas, Konflikte selbst zu lösen und mehr Kooperation zu erreichen.

Unter diesen Bedingungen wäre ein Aufschluss Afrikas an den Rest der Welt möglich. Und damit ein Ende des millionenfachen Leids der afrikanischen Bevölkerung. Niemand soll sagen, dies sei unmöglich: Denn bisher wurde es noch nicht einmal versucht.

Zuerst erschienen im SPUNK.